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Pflegschaftsrecht:

Rückführung des Pflegekindes/Antrag auf Verbleiben des Pflegekindes in der Pflegefamilie

von Rechtsanwältin Sigrid Pruss  

Die Rückführung des Kindes aus der Pflegefamilie in die Herkunftsfamilie ist in der zentralen Vorschrift des § 1632 Abs. 4 BGB geregelt. Diese Vorschrift ist mithin eine Schutzvorschrift für Pflegekinder, die sich in Dauerpflege befinden und die in ihrer Entwicklung unter Umständen deshalb gefährdet werden könnten, weil ihre Eltern sie aus der Pflegefamilie herausnehmen wollen.

Nach dem Zweck dieser Vorschrift sollen Pflegekinder geschützt werden, die seit längerer Zeit in einer Pflegefamilie sind. Der Zeitbegriff ist insoweit nicht absolut zu verstehen, sondern kinderpsychologisch, das heißt, es gilt ein relativer, an der Erlebnisverarbeitung von Kindern orientierter Zeitbegriff. Es kommt darauf an, ob die Pflegezeit dazu geführt hat, dass das Kind seine Bezugswelt in der Pflegefamilie gefunden hat und deshalb die Herausnahme zu diesem Zeitpunkt die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden mit sich brächte.

Das Kind muss mithin eine tragfähige Beziehung in der Pflegefamilie entwickelt haben. Maßgeblich ist, dass das kindliche Zeitempfinden an die Möglichkeit und Geschwindigkeit von Bedürfnisbefriedigung gebunden ist, die das Kind als notwendig und zufriedenstellend empfindet.

Unter Umständen kann das Merkmal der längeren Zeit auch nach mehreren Jahren verneint werden, wenn sich das Kind in die Pflegefamilie überhaupt nicht eingelebt hat. Bei einem älteren Kind kann eine Herausnahme nach sechs Monaten möglich sein, während für ein einjähriges Kind sechs Monate sehr lang sein können. Die Rechtsprechung ist in diesen Zeitabschnitten sehr unterschiedlich gelagert. 18 Monate sind jedoch eine lange Zeit, wenn das Kind die ganze Zeit bei Pflegeeltern verbracht hat, vgl. Ffm FamRZ 04, 720.

Wenn etwa das Jugendamt, der Amtsvormund, die leiblichen Eltern, die noch Inhaber der elterlichen Sorge oder zumindest des Aufenthaltsbestimmungsrechts sind, die Absicht äußern, das Kind aus der Pflegefamilie wegnehmen zu wollen, dann haben die Pflegeeltern grundsätzlich ein Rechtsschutzbedürfnis auf eine familiengerichtliche Entscheidung über den Verbleib des Pflegekindes in ihrer Familie.

Das Familiengericht hat sich bei der Entscheidung am sogenannten Kindeswohl zu orientieren. Das Familiengericht sollte eine derartige Entscheidung nur auf Grundlage eines aktuellen familienpsychologischen Gutachtens entscheiden.

Das psychologische Gutachten sollte dabei regelmäßig zwei Ausgangshypothesen prüfen:

1. Die Herausgabe des Kindes aus der Pflegefamilie stellt das geringere Risiko für das Kind dar.

2. Das Verbleiben des Kindes in der Pflegefamilie stellt das geringere Risiko dar.

Es muss stets die jeweilige Situation des Kindes betrachtet werden. Pauschalierte Stellungnahmen lassen sich nicht abgeben.

Das Bundesverfassungsgericht, unser höchstes deutsches Gericht, hat entschieden, dass der Wunsch der Eltern auf Herausgabe des Kindes nur dann versagt werden darf, wenn durch die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet würde, vgl. BVG NJW 85, 423.

Das Herausgabeverlangen der Eltern scheitert deshalb nicht schon dann, wenn das Kind bei den Pflegeeltern gut versorgt wird oder diese auch sonst geeigneter erscheinen als die leiblichen Eltern. Das natürliche Vorrecht der Eltern hat dann zurückzutreten, wenn die Aufenthaltsänderung bei dem Kind zu nicht unerheblichen körperlichen oder seelischen Schäden führt oder führen kann. Entscheidend ist das Ausmaß der Integration des Kindes in die Pflegefamilie. Bezugspersonen brauchen in diesem Zusammenhang nicht die Pflegeeltern selbst, sondern können auch Pflegegeschwister, Nachbarn oder Schulfreunde des Kindes sein.

Hat das Kind in der Pflegefamilie seine Bezugswelt gefunden und ist seinen leiblichen Eltern entfremdet, so muss im Konflikt zwischen dem Grundrechtschutz auch langfristige Pflegeelternschaft und dem an sich vorrangigen Erziehungsrecht der leiblichen Eltern aus Gründen des Kindeswohls das Recht der Eltern zurücktreten.

In diesen Fällen hat das Gericht eine Verbleibensanordnung für das Kind in der Pflegefamilie zu treffen.

Es ist immer zu fragen, ob das Kind in der Pflegefamilie eine enge Beziehung aufgebaut hat, sichere Bindung zu seinen leiblichen Eltern, die leiblichen Eltern darüber hinaus (wieder) erziehungskompetent sind und ob das Kind erneut zu seinen Eltern will. Nur dann sollte eine entsprechende Entscheidung erfolgen. Dieser Prozess der Rückführung sollte darüber hinaus aus kinderpsychologischer Sicht einige Monate, wenn nicht sogar ein Jahr in Anspruch nehmen. Das Rückführungsprogramm setzt zum Wohl des Kindes eine gute Kooperation der leiblichen Eltern und der Pflegeeltern miteinander voraus.

Bei der Abwägung hat das Gericht auch immer zu prüfen, welches der Anlass war, dass das Kind in eine Pflegefamilie gewechselt hat.

Haben die leiblichen Eltern beispielsweise ihr Kind selbst in Pflege gegeben und hat das Kind eine entsprechende Beziehung zur Pflegefamilie aufgebaut, so ist die Herauslösung aus der Pflegefamilie nur ausnahmsweise vertretbar, vgl. Karlsruhe NJW 79, 930.

Ein Verfahren auf Verbleiben des Pflegekindes in der Pflegefamilie gemäß § 1632 Abs. 4 BGB haben die Pflegeeltern beim zuständigen Familiengericht einzureichen. Wichtig ist, dass die Pflegeeltern einen richtigen Antrag stellen.

Haben die Kindeseltern bereits einen Antrag auf Rückführung des Kindes in die Familie gestellt, so ist zu prüfen, ob die Pflegeeltern nicht direkt einen Antrag auf vorläufige Anordnung zum Verbleib des Pflegekindes in ihrer Familie stellen müssten. Pflegeeltern haben dann die Sicherheit, dass zunächst schon einmal Fakten geschaffen sind, dass das Kind in der Pflegefamilie verbleiben kann, bis eine Entscheidung getroffen ist. Erfahrungsgemäß dauern diese Verfahren recht lange, weil das Gericht ohne Einholung eines Gutachtens nicht entscheiden darf.

Zu erwähnen ist noch, dass das Gericht in der Regel dem minderjährigen Pflegekind einen Verfahrenspfleger zu bestellen hat, dem sogenannten Anwalt des Kindes. Dieser Verfahrenspfleger soll im Verfahren die Interessen des Kindes vertreten.

Welche Anträge gestellt werden müssen, hängt stets von der aktuellen Situation ab.

 
Wünschen Sie weitere Informationen oder möchten Sie einen Termin für eine Erstberatung vereinbaren, dann wenden Sie sich bitte an:
 
Rechtsanwältin Sigrid Pruss
 
Rechtsanwältin Sigrid Pruss Rechtsanwaltskanzlei Sigrid Pruss
Reinhardtstr. 29c
10117 Berlin (Mitte)
Telefon: 030-257 626 32
Fax-Nr.: 
Tätigkeitsschwerpunkte: Familienrecht, Pflegeelternrecht, Erbrecht, Sozialrecht, Arbeitsrecht
Als ausgebildete Mediatorin arbeite ich in einem multiprofessionellen Team, insbesondere in den Bereichen der Erb-, Familien- und Wirtschaftsmediation.
 
Beitrag erstellt am Donnerstag, 17. April 2008
Letzte Aktualisierung: Donnerstag, 17. April 2008


Verantwortlich für den Inhalt dieses Beitrags: Rechtsanwältin Sigrid Pruss
Pflegschaftsrecht Rechtsanwältin Sigrid Pruss, Berlin Weitere Beiträge von Rechtsanwältin Sigrid Pruss
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